Arbeiten nach der Sonne

Befährt man die Landesstraße 300 aus Meudt kommend in Richtung Boden, so gelangt man am Rand der zur Verbandsgemeinde Montabaur gehörenden Ortschaft in einen Kreisverkehr. Ihn überragen die Flaggen von Boden, Deutschland und Europa. Unterhalb erinnern drei Arbeitern nachempfundene Metallskulpturen an die (Ton-)Bergbautradition der Gegend. Keine 150 Meter entfernt hat die Firma „Goerg & Schneider“ ihren Sitz. Sie verwendet den im Solarpark in Wissen produzierten PV-Strom (siehe Seite 2), um damit beispielsweise Mahl- und Bandanlagen zu betreiben.

Der Bodener Kreisverkehr thematisiert den Tonabbau. Rechts dahinter ist das Firmengelände von „Goerg & Schneider“ erkennbar.

„Energie ist für uns schon immer das teuerste Gut gewesen, sowohl Strom als auch Gas“, schildert Florian Goerg, der zusammen mit seinem Vater und seiner Mutter die Geschäfte des Unternehmens führt. Dieses beschäftigt sich mit drei Bereichen: der Gewinnung und dem Verkauf von Roh-Ton, von Schamotten und keramischen Massen. Während aus dem Roh-Ton zum Beispiel Ziegel und Fliesen für ganz Europa oder keramische Produkte wie Waschbecken für unsere Badezimmer hergestellt werden, geben zugesetzte Schamotten der Sanitärkeramik Stabilität. Unter „keramische Massen“ fällt das, was wir als klassischen Ausgangsstoff für das Töpferhandwerk kennen. Sie gehen in rund 25 Länder von Dubai bis Israel. Das von „Goerg & Schneider“ vermarktete „Töpferglück“ ist ein Renner bei Kreativen im In- und Ausland und sogar über einen Werksverkauf direkt in Boden erhältlich.

Das dortige Werk existiert seit den 1950er-Jahren. Seit vier Jahren steht auf dem Gelände ebenfalls ein neues Verwaltungsgebäude und genauso lange ist Boden der Sitz von „Goerg & Schneider“. Im nächsten Jahr begeht man das 100. Firmenjubiläum.

Ursprünglich gegründet wurde „Goerg & Schneider“ von Benedikt Goerg und Alois Schneider in Siershahn. Ihren ersten großen Tagebau erschloss die Firma in Mogendorf. Sie baut Ton auch heute noch selbst ab, doch der Schwerpunkt des Unternehmens, das insgesamt an acht Standorten arbeitet, sei die Weiterverarbeitung, wie Florian Goerg erläutert, der die vierte Generation in der Unternehmensführung darstellt.

Die besagte Weiterverarbeitung braucht Energie, riesige Mengen Energie: Allein ungefähr vier Millionen Kilowattstunden (kWh) Strom sind im Jahr erforderlich. Die enorme Menge von knapp 26 Millionen kWh Gas kommt hinzu!

Gas wie Strom benötigt ein circa 85 Meter langer Tunnelofen, in dem Schamotte bei über 1.200 Grad Celsius gebrannt wird. Er ist Hauptenergieverbraucher in Boden, läuft an 365 Tagen im Jahr. Denn es dauere alleine zehn Tage, diesen Ofen anzustellen. Und schneller sei er auch nicht abzukühlen, höchstens 100 Grad am Tag, ansonsten fiele die Anlage, die zu den modernsten und effizientesten ihrer Art zählt, in sich zusammen, unterstreicht Goerg.

So verwundert es nicht, wenn der Juniorchef sagt: „Wir haben uns schon vor drei, vier Jahren überlegt: Wie können wir nachhaltig Energiesicherheit für unser Haus darstellen?“ Bereits seit mehreren Jahren beziehe man Grünstrom von „MANN Naturenergie“. Auf allen Hallendächern des Unternehmens sei ein maximaler Ausbaustand an eigener Photovoltaik (PV) erreicht.

Einst wollten „Goerg & Schneider“ selbst einen Solarpark bauen und betreiben, in direkter Nachbarschaft zum Firmensitz, nachdem eine Prüfung schon 2008 ergeben hatte, dass das Unternehmen kein eigenes Windrad bauen dürfe. Sage und schreibe dreieinhalb Jahre dauerte es jedoch, bis „Goerg & Schneider“ die Genehmigung für einen geplanten eigenen Solarpark bekommen konnten. „Doch mit dieser langen Zeit kamen wir in die Bredouille: Unser damaliger Stromvertrag lief 2022 ab. Zudem fiel das zeitgleich in die Energiekrise. Mit dreieinhalb Jahren brauchen Sie nichts mehr zu planen… Deshalb mussten wir ausweichen“, beschreibt Florian Goerg. „Und man muss noch einmal betonen: Unser Geschäftszweck ist ja ohnehin die Weiterverarbeitung von keramischen Rohstoffen – nicht Aufbau eines Solarparks! Ich bin Vertriebsleiter für den Verkauf von Ton – und habe mich nun drei Jahre lang mit Energiethemen befasst“, legt Goerg die Stirn in Falten. „Bürokratie behindert die Energiewende!“, stimmt Markus Mann kritisch zu.

All diese Faktoren führten letztlich dazu, dass „Goerg & Schneider“ dem PPA, dem „Power Purchase Agreement“, mit den „Maxwäll“-Genossen (siehe Seite 2) gerne zugestimmt haben. „Wir haben damit einen Weg gefunden, wie wir uns langfristig Energiesicherheit und Nachhaltigkeit einkaufen“, freut sich Florian Goerg.

Angestrebt werde, dass der PV-Strom aus dem Solarpark Wissen bis zu 30 Prozent der jeweiligen elektrischen Last des Unternehmens decken könne. „Die Energiemenge, die uns nicht an PV-Strom zur Verfügung steht, wenn in Wissen zu wenig erzeugt wird, bekommen wir jederzeit von MANN, so dass uns das Konstrukt erlaubt, stets ausschließlich ‚grünen Strom‘ zu nutzen! MANN ist eigentlich unsere virtuelle Batterie“, ergänzt der Juniorchef.

„Goerg & Schneider“ haben jedoch nicht nur das PPA mit „Maxwäll“ und MANN geschlossen, sondern begleitend sogar Schichtpläne verschoben und Produktionsprozesse so ausgerichtet, dass ein höchstmöglicher Anteil an PV-Strom aus Wissen eingesetzt werden kann. „Wir arbeiten im Grunde nach der Sonne“, lacht Florian Goerg: Inzwischen beginne die Arbeit in Boden zu einer späteren Uhrzeit als vormals, so dass man den „Peak“, das Maximum der Sonneneinstrahlung, auf jeden Fall ausnutzen könne, wenn Ton-Mahlwerke und andere Verbraucher voll laufen.

In diesem Verschieben von Lasten, im „Lastmanagement“, sieht Markus Mann die Zukunft industrieller Energienutzung. „In dem Moment, wo Energie zu einem immer teuren Produktionsfaktor wird, wird schon allein der Markt dafür sorgen, dass die Wirtschaft dem Beispiel von ‚Goerg & Schneider‘ folgt und energieintensive Abläufe möglichst dann stattfinden lässt, wenn es besonders viel günstigen Strom aus erneuerbaren Quellen gibt“, ist der Grünstrom-Pionier überzeugt.

Rund 95 Mitarbeiter sind bei „Goerg & Schneider“ fleißig, größter Betriebsteil ist Boden. Hier werden auch 80 Prozent der gesamten Energie des Unternehmens verbraucht.

„Das ist der typische Ton“, stellt Florian Goerg bei einem Betriebsrundgang heraus und deutet auf die „Box 20“. Etwa 60 dieser haushohen Abteile gibt es in Boden, witterungsgeschützt unter Hallendächern. Darin wird Ton in verschiedenen Qualitäten bevorratet, der zuvor nach der Förderung im Werk zerkleinert worden ist. Gefördert wird täglich, je nach Tagebau fünf bis sieben verschiedene Sorten.

Aus etwa 35 verschiedenen eigenen Rohstoffen und einigen Fremdrohstoffen mischen „Goerg & Schneider“ unterschiedliche Tone für die jeweiligen Kundenbedürfnisse, verdeutlicht Florian Goerg. „Ziel der Übung ist es, eine Tonmischung herzustellen, die relativ stabil ist. Wenn wir Ton an Kunden verkaufen, ist es zu 99 Prozent eine Mischung, die aus mehreren Komponenten besteht.“ So könne man natürliche Schwankungen ausgleichen und sicherstellen, dass man selbst größere Mengen von 50.000 oder 60.000 Tonnen immer mit den selben Qualitätsparametern liefern könne.

Florian Goerg zeigt Ton aus „Box 20“.

Apropos: Im Jahr vermarktet die Westerwälder Firma alles in allem 600.000 Tonnen. Versandt wird zum Beispiel auf dem Wasserweg. 120 Rhein-Schiffe legen in Bendorf oder Lahnstein im Jahr mit Produkten des Bodener Unternehmens ab, im Schnitt mit jeweils 2.500 bis 3.000 Tonnen an Bord. Ebenso ist die Bahn ein wichtiges Verkehrsmittel. Es gibt im Werk einen eigenen Gleisanschluss. „Italien wird fast ausschließlich per Waggon bedient“, berichtet Florian Goerg.

Im Kreisverkehr am Ortseingang von Boden sind die drei blechernen „Bergbauarbeiter“ ausschließlich händisch tätig, nutzen Spaten und Hacke, aber keine Maschinen. Hinter Florian Goerg rattert derweil eine mächtige Tonmühle, darin stellt das Unternehmen Tonmehl her. Der geförderte Ton weist noch eine Feuchte von 13 bis 15 Prozent auf. Die Mühle trocknet ihn auf unter zwei Prozent und mahlt ihn. So erhält „Goerg & Schneider“ die Basis für keramische Massen. Die Maschine ist einer der großen Stromverbraucher im Betrieb. Die neue Dreier-Kooperation im Westerwald versorgt ihn mit dem nötigen Naturstrom.