„Wie soll das funktionieren?“

Maik Christ lacht immer noch lauthals los, wenn er an den Moment denkt: „Ja, ja elektrisch! Haha, erzähl‘ du mal!“, spottete er, als sein Chef Markus Mann zu ihm kam, um ihm zu signalisieren, dass sein Diesel-Lkw schon bald durch einen vollelektrisch angetriebenen abgelöst würde. „Wie soll das funktionieren?“, habe er ungläubig gefragt. „Wenn du über drei Jahrzehnte Diesel fährst und auf einmal heißt es, du sollst jetzt elektrisch fahren…“

Die Hinterachse des Aufliegers lenkt mit und macht den elektrischen Pellet-Laster trotz seiner Länge sehr wendig. Eine Rückfahrkamera gewährt einen guten Überblick.

Es war im Sommer vergangenen Jahres, als erstmals ein Lastwagen mit Elektroantrieb vom Hof der „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) rollte, um den umweltfreundlichen Brennstoff ohne klimaschädliche Abgase aus einem Verbrennungsmotor zu WWP-Kunden zu transportieren (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete). Hatten die ersten Wochen mit dem damals in Dienst gestellten „Designwerk Futuricum“ noch etwas Experimentelles, nutzt der Langenbacher Energielieferant inzwischen sechs vollelektrische LKW verschiedener Hersteller – ganz „normal“, Tag für Tag. Bald sollen sieben der zwölf Fahrzeuge der WWP-Lkw-Flotte elektrisch angetrieben sein.

Maik Christ ist ein cooler Typ, ein entsprechendes Tattoo am Bein weist ihn als glühenden Schalke-Fan aus, Kollegen wie Kunden schätzen seine Art. „Ja, einige vielleicht“, scherzt er. Doch dann erzählt er, ganz ernst, mehr von seinem Start in die berufliche Elektromobilität. Es sei, nach dem besagten Gespräch mit seinem Chef, eben doch der Tag gekommen, als sein neues Arbeitsgerät, strahlend weiß und mit Elektromotor, im April des Jahres auf dem Hof der WWP in Langenbach bei Kirburg stand. „Und heute will ich ihn nicht mehr abgeben!“, entfährt es ihm sofort, wenn er über den „Volvo FH Electric“ spricht.

Der darf, je nach Auflieger, ein Gesamtgewicht von bis zu 42 Tonnen aufweisen. Maik Christ überführte seinen Lkw selbst vom Händler in Ransbach-Baumbach bis nach Langenbach, „und habe dabei von Ransbach-Baumbach bis nach Langenbach auf den Hof gelacht“, berichtet er über den ersten Eindruck. Man habe plötzlich nichts mehr gehört, keine Fahr- und Antriebsgeräusche, allein den leise an der Sonnenblende über der Frontscheibe säuselnden Fahrtwind.

Der Fahrer mag die feine Dosierbarkeit der Kraft beim Rangieren.

„Jetzt habe ich mich daran gewöhnt, aber am Anfang war es für mich eine riesige Umstellung von den Geräuschen her – und ebenso von der Leistung!“ Denn den Auflieger, den Maik Christ mit seinem „Volvo“ durch die Gegend zieht, merke er nicht mehr. „Diese Autos haben eine solche Kraft… Wenn ich das mit meinem alten ‚Mercedes Actros‘ vergleiche, der zwar auch 480 PS hatte: Wenn ich den richtig vollgeladen hatte, kam manches Mal das Gefühl auf, ich komme die Berge nicht hoch.“ Das sei heute komplett anders: Die elektrischen 677 PS oder 498 Kilowatt (kW) Leistung ließen sich fahren, als wenn er nur mit der Sattelzugmaschine ohne Auflieger unterwegs sein würde.

Was aber selbstverständlich nicht stimmt, hinten im knapp 13 Meter langen Zug sind gerade 20 Tonnen Westerwälder Holzpellets eingeladen (maximal wären 23,5 zulässig in dieser Fahrzeugkonfiguration), von denen an der ersten Abladestelle in Hahn am See vier Tonnen schon erwartet werden.

„Ja klar: eine Einbahnstraße“, murmelt Christ, während er sich an diesem Herbstmorgen mit dem 2,55 Meter breiten Gefährt der Kundenadresse im Schritttempo nähert. Doch ganz routiniert und mühelos rollt er damit in die kleine Seitenstraße.

„Der Auflieger lenkt elektrohydraulisch mit“, erläutert er die Beweglichkeit des Sattelzugs. „Deswegen läuft der Auflieger immer sauber hinterher. Eine super Sache!“ Wenn es noch enger wird, erlaube eine Funkfernbedienung, zusätzlich die Lenkachse des Aufliegers von Hand zu steuern, fügt Christ an.

Doch jetzt muss er anhalten und aussteigen, um mit der Hauseigentümerin in Hahn am See den Keller ihres Einfamilienhauses in Augenschein zu nehmen und das dortige Pelletlager zu kontrollieren. In diesem Fall ist es ein Sacksilo, in das die Pellets eingeblasen werden sollen. Aus Rohren an seinem Auflieger holt der Fahrer je sieben Meter lange Schlauchstücke, schraubt sie zusammen und verbindet das Silo so mit dem Lkw.

Während die Holzpellets durch den Schlauch zu rasseln begonnen haben, erklärt Maik Christ noch, dass der vorhin erwähnte Motor für das Lenken der Hinterachse durch zwei 24-Volt-Starterbatterien angetrieben werde, die auch die ganze Elektronik des „Volvo“ versorgen. Verlieren die an Ladung, werden sie von den Fahrzeug-Akkus, die zusammen eine große Kapazität von 540 Kilowattstunden aufweisen, wieder aufgeladen. „Auch der Nebenantrieb für den Kompressor, mit dem jetzt gerade die Pellets eingeblasen werden, wird aus diesen Akkus versorgt.“ Aus diesem Grund habe der elektrische Lkw im Alltag nie die Reichweite, die er, mit vollen Akkus, am Morgen auf dem Display zeige, „eben weil wir unterwegs einige Kilowattstunden dazu benutzen, die Pellets einzublasen.“ Doch dafür rattere vor dem Haus der Kunden kein Abgase ausströmender Dieselmotor mehr.

Die vier Tonnen in Hahn am See sind inzwischen im Lager der Kundin, die vor der Abfahrt von Maik Christ noch schildert, dass sie bei einer früheren Bestellung aus einer anderen Quelle „etwas günstigere“ Pellets geordert habe. Die seien, wie sich hernach herausstellte, aber von minderer Qualität gewesen, die Heizung war gestört. „Da habe ich gelernt“, betont die Frau, und seither bestelle sie ausschließlich WWP.

„1991 hab‘ ich bei der Spedition MANN angefangen, war fünf Jahre da. Danach war ich 20 Jahre im Fernverkehr unterwegs“, sagt Maik Christ auf dem Weg zur nächsten Abladestelle in Herschbach. „Wie das halt so ist so als junger Kerl: man will die Welt sehen. Schweden, Schweiz, Spanien, Benelux – das ganze Programm. Deswegen habe ich bei der Spedition MANN gekündigt“, lacht er.

Er heuerte bei einer anderen Firma im Westerwald an, die für den Lkw-Hersteller Scania Neufahrzeuge auf Spezialtiefladern beförderte und europaweit verteilte. „Das war eine schöne Arbeit. Doch man wird älter, zwischenzeitlich sind Beziehungen durch das ständige Wegsein kaputtgegangen – da habe ich zu mir gesagt: ‚Pass mal auf, Maik, das hast du nun lange genug gemacht, jetzt gehst du wieder in den Nahverkehr.‘“

Den Brennstoff im Westerwald vollelektrisch auszuliefern, ist Alltag bei den WWP.

Gesagt, getan, er erinnerte sich an Speditionschef Thomas Mann, Bruder des WWP-Inhabers Markus Mann, schrieb ihn über „Facebook“ an: „Sucht Ihr noch Fahrer?“ Kurz darauf saß er für drei Monate wieder für die Spedition MANN hinter dem Steuer. Allerdings kam es vor, dass er dabei doch wieder weiter als gewünscht von zu Hause weg war – deswegen wechselte der Westerwälder zu Thomas Manns Bruder Markus und seinen „Westerwälder Holzpellets“ (WWP). „Und nun bin ich da acht Jahre – wie die Zeit vergeht!“

Anfangs hat Maik Christ dort Sägemehl für die Pelletproduktion geholt, anschließend Palettenware ausgefahren, also Westerwälder Holzpellets in Säcken. Doch bald kam sein neuer Chef zu ihm: „Du wärest auch der richtige Fahrer für ein Silo-Auto.“ Er ließ sich zeigen, was dabei gefordert ist, „jetzt mache ich das ebenfalls schon wieder seit viereinhalb Jahren.“

Maik Christ, das zeigt dieser Blick auf dessen Lebenslauf, ist also einer, der sich im Güterkraftverkehr wirklich auskennt, langjährige Erfahrung von Hunderttausenden Kilometern mitbringt. Dem elektrischen Antrieb kann der Routinier – betrachtet er neben der klimaschonenden Auswirkung der Lkw-Elektromobilität deren Alltagstauglichkeit – viel Positives abgewinnen: „Das ist pure Kraft – wenn du sie brauchst. In die Ecken rein, rückwärts rangieren: das kannst du mit dem elektrischen zentimetergenau machen! Ein Verbrenner, der fängt schon mal an zu springen wegen seiner Kupplung. Hierbei kannst du so fein dosieren alles an Kraft – das macht Spaß!“, urteilt der Kenner.

Ein automatisches Zwölfganggetriebe verteile die Kraft des „Volvo FH“. „Ich habe hier im Grunde das gleich drin, wie im Verbrenner. Aber man muss schon aufs Display gucken, um zu merken: jetzt bin ich im zehnten.“ Man spüre nicht, freut sich Christ, wenn der elektrische Lkw schalte. „Durch das enorm hohe Drehmoment des elektrischen Antriebs“, so der Fachmann. „Du kommst abends auch irgendwie entspannter nach Hause. Das ist wirklich so. Das Fahren ist ausgeglichener.“

Vielleicht liegt das unter anderem daran, dass Maik Christ, nach all den Jahren Diesel-Erfahrung, seine Fahrweise angepasst hat: Kommt er beispielsweise auf eine rote Ampel zu, gehe er eher vom „Gas“, denn dann rekuperiert der „Volvo FH“, die Bewegungsenergie wird also umgewandelt und als elektrische wieder in die Batterie eingeladen, während der Lkw dabei langsamer wird, ohne die Bremse zu betätigen. „Man fährt deswegen vorausschauender“, meint der WWP-Mitarbeiter. „Das mit den elektrischen Lkw, das ist schon geil! Eine tolle Technik, die mich verblüfft.“

Bis zu 300 Kilometer Reichweite bietet so ein Fahrzeug. Mit einem entsprechend starken Gleichstrom-Lader kann er in zwei Stunden wieder voll sein – die Nacht bis zum nächsten Arbeitsbeginn reicht also immer „dicke.“

„Klar: Wir mussten zunächst ja alle lernen“, unterstreicht Maik Christ auf dem Weg nach Herschbach, wo zehn Tonnen Westerwälder Holzpellets gewünscht sind. „Der Disponent, der Fahrer, wir mussten am Anfang besonders viel miteinander sprechen, schauen, was verbraucht man an Strom auf welcher Strecke? Wo laden wir unterwegs nach, wenn es, aufgrund einer weiter entfernten Abladestelle wie zum Beispiel dem WWP-Pelletheizhaus bei den Stadtwerken Düsseldorf (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete), einmal nötig wird?“

Auch der Nebenantrieb für den Kompressor, der die Pellets mittels Überdruck aus dem Siloauflieger befördert, bekommt seine Energie aus den Lkw-Akkus.

Das Wichtigste dabei sei der Platz, so der Fachmann, um sein Gefährt an einer Ladesäule sicher abstellen zu können, das eben erheblich größere Ausmaße hat als ein E-Pkw. „Deswegen funktionieren viele Ladepunkte für Pkw nicht.“ Lasse es sich nicht anders bewerkstelligen, sei er allerdings schon an räumlich beengteren Ladesäulen gewesen. „Dann habe ich vorher abgesattelt (Anm. d. Red.: den Auflieger zuvor von der Zugmaschine getrennt abgestellt), das ist ja auch kein Problem.“

Nicht selten produziere sein hochmodernes Arbeitsgerät Erstaunen. Mancher Pkw-Fahrer habe ihn, während Maik Christ seinen „Volvo“ an eine öffentliche Ladesäule gehängt hatte, schon gefragt, ob er nicht gefälligst anderswo Pause machen könne… „Und die bemerken plötzlich: da ist ja ein Kabel drin!“, schmunzelt Maik Christ. „Wie, der fährt elektrisch?“ Diesen Satz höre er in solchen Momenten vielfach. Es gebe etliche Zeitgenossen, denen noch überhaupt nicht klar sei, dass Lastkraftwagen ebenfalls längst komplett elektrisch mit Grünstrom unterwegs sein können. „Was meinst du, was manches Mal für Menschentrauben um mich herumstehen!“, fügt der Westerwälder hinzu. „Die fotografieren, fragen nach vielen Details, haben das noch nie gesehen, wie ein Lkw an der Ladesäule steht.“

In der Regel aber wird der WWP-Sattelschlepper an eigenen Ladesäulen des Energielieferanten in Langenbach bei Kirburg geladen (siehe Seite 7). „Normalerweise reicht eine Akkuladung für einen ganzen Arbeitstag, an dem ich Pellets ausliefere.“ Im Schnitt steuere er drei, vier Kunden an, „ganz normal, wie beim Diesel.“

Bei einem dieser Kunden, dem Zehn-Tonnen-Besteller in Herschbach, ist Maik Christ nun angekommen. Wieder inspiziert er, was zur Qualitätssicherung der hohen „ENplus“-Norm der Westerwälder Holzpellets zwingend ist, zunächst das Pelletlager, montiert Schläuche für das Einblasen und startet den Vorgang. Der Immobilienbesitzer guckt neugierig, mit welchem ihm neuen Fahrzeug der WWP-Mitarbeiter da vorgefahren ist und nutzt die Dauer des Einblasens für einige Fragen dazu.

„Ich find‘ das so genial“, freut Maik Christ sich, nachdem die Lieferung in Herschbach ebenfalls erledigt, er mittlerweile auf dem kurzen Weg zum dritten Kunden in Dierdorf ist, „man hört echt nur noch den Wind an den Außenspiegeln.“ Nochmal zurück auf einen Lkw mit Dieselantrieb? „Nee, das wollte ich jetzt nicht mehr“, schüttelt der sympathische Fahrer entschlossen den Kopf. Privat ist der erfahrene Lkw-Lenker inzwischen ebenfalls nur noch elektrisch unterwegs, in einem „BMW I3“. Mit dem, sagt er zum Schluss noch, sei er schon im Urlaub in Österreich gewesen.

Uwe Schmalenbach